Während unserer Mitgliederversammlung 2018 bot uns die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast an, ca. drei- bis viermal pro Jahr Gespräche am „Runden Tisch“ in ihrem Hause zu führen. Ein Thema, das uns besonders am Herzen liegt, haben wir von Beginn an immer wieder angesprochen:
Die Lücke bei den zahlreichen Förderprogrammen für die direktvermarktenden, landwirtschaftlichen Betriebe.
Für Investitionen im landwirtschaftlichen Betrieb können Fördermittel z. B. über das Agrarinvestitionsprogramm (AFP) beantragt werden. Muss ein direktvermarktender Betrieb jedoch auf Grund der gesetzlichen Vorgaben einen gewerblichen Betrieb gründen, weil er z. B. in die Verarbeitung der selbst erzeugten Produkte einsteigen und sein Sortiment attraktiver gestalten bzw. für sich eine höhere Wertschöpfung erzielen will, fällt er aus den Fördermaßnahmen für landwirtschaftliche Betriebe heraus.
Regionale Verarbeitung und Vermarktung ja – Förderung dafür nein!
Hierauf haben wir in den Gesprächen am „Runden Tisch“ immer wieder hingewiesen. Für uns ist es unverständlich, die regionale Verarbeitung und Vermarktung politisch zu fordern bzw. mit all ihren Vorzügen hervorzuheben, aber dies nicht durch entsprechende finanzielle Hilfen zu unterstützen. Bereits beim ersten Ansprechen dieses Themas wurde uns im niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML) mitgeteilt, dass ihnen die Hände gebunden seien. Ein Grund ist, dass es sich nicht um die Förderung eines landwirtschaftlichen sondern eines gewerblichen Betriebes handelt. Für diesen liegt die Zuständigkeit im niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung (MW).
Videokonferenz mit beiden Ministerien
Knapp vier Jahre später, im Juli 2021, fand eine Videokonferenz mit VertreterInnen beider Ministerien sowie des VNDs statt. Dazu schilderte unser Vorsitzender, Herr Eberhard Prunzel-Ulrich, erneut die Situation und betonte aus VND-Sicht die Notwendigkeit, Maßnahmen für diese Förderlücke auf den Weg zu bringen:
Jede/r wünscht sich mehr regionale Produkte, einschließlich der Politik, des Handels, der Verpflegungseinrichtungen und der Gesellschaft.
Immer mehr Landwirte/ Landwirtinnen steigen in die Direktvermarktung ein und stoßen für die notwendigen Investitionen an (finanzielle) Grenzen, wenn sie Urprodukte verarbeiten wollen.
Mit Hilfe der Fördergelder haben diese BetriebsleiterInnen die Chance, ihre geplanten Vorhaben im gewerblichen Bereich in eins umzusetzen, damit sie eine schnellere Effektivität und bessere Arbeitswirtschaft erhalten, als wenn sie nach und nach umbauen und investieren.
Produkte, die nicht in Anhang I1 (landwirtschaftliche Urprodukte) der Richtlinie aufgeführt sind, fallen aus den landwirtschaftlichen Fördermaßnahmen heraus.
Die derzeitigen Förderprogramme des MWs kommen nicht in Betracht, da das Investitionsvolumen der direktvermarktenden Betriebe in der Regel zu gering ist.
Sichtweise des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums (MW)
Das MW bietet die Förderung handwerklicher Betriebe, die mit der Handwerksordnung verknüpft ist. Unternehmen, die hier in Anlage A2 aufgeführt sind, erhalten finanzielle Unterstützung. Ergänzend berät die N-Bank3 für alle Fördermaßnahmen und ist zentrale Stelle, für die Umsetzung der Wirtschaftsförderhilfen des MWs.
Die EFRE-Förderung (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung für wirtschaftliche Aufholprozesse ärmerer Regionen und Regionen mit Strukturproblemen) wird auf die GRW-Förderung4 heruntergebrochen, deren Ziel die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ist. Eine Kombination verschiedener Fördermaßnahmen ist nicht beabsichtigt. Ziel des MWs ist es, dass Betriebe, die eine Förderung erhalten,
durch diese Expansionen vornehmen,
überregional vermarkten, d. h. jeweils mindestens 50 km vom Betriebssitz entfernt und die Hälfte ihres selbst produzierten Sortiments,
und
Dauerarbeitsplätze schaffen, d. h., mindestens 5% mehr als der Arbeitskräftebesatz vor der Maßnahme war.
Herr Prunzel-Ulrich benennt den Widerspruch, da Direktvermarktende nicht das Ziel haben, erst ab 50 km Entfernung mehr als die Hälfte ihrer Produktion zu vermarkten. Sie wollen vor Ort, in ihrer Region, ihr Sortiment absetzen, um den ländlichen Raum zu erhalten und zu gestalten. Er weist darauf hin, dass sich die landwirtschaftlichen Betriebe langsam entwickeln und zunächst den zusätzlichen Arbeitsanfall mit familieneigenen Kräften decken.
Das MW stellt jedoch unmissverständlich dar, dass die regionale Ausrichtung keine Maxime für sie sei, denn die Erhaltung kleinstrukturierter Betriebe spiele in deren Bereich keine Rolle.
Diversität in Süddeutschland, aber nicht im Norden
Wir fragen nach der Diversität, einer Förderung, bei der die Ressourcen eines landwirtschaftlichen Betriebes für neue Bereiche, auch landwirtschaftlich Unabhängige, genutzt werden sollen, z. B. zur Umnutzung der Gebäude für handwerkliche, gastronomische, u. a. Betriebe. In Süddeutschland, z. B. in Bayern, Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz, werden solche Optionen den landwirtschaftlichen Betrieben angeboten. Im Vergleich zu diesen Bundesländern hat das Agrarland Nr. 1, Niedersachsen, dies abgelehnt. Warum?
1 Der „Anhang I“ ist eine Auflistung zu Artikel 38 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU. Dieser ist neben dem Vertrag zur Europäischen Union (EU-Vertrag) einer der Gründungsverträge. Gemeinsam bilden sie die vorrangigen Grundlagen für das politische System der EU.
2 Die „Anlage A“ ist eine Anlage zur Handwerksordnung. Dieses Verzeichnis listet die zulassungspflichtigen Handwerke auf, die ein Gewerbe betreiben.
3 Die „NBank“ ist die Investitions- und Förderbank des Landes Niedersachsen mit Sitz in Hannover und nahm ihr operatives Geschäft am 01.01.2004 auf. Als Anstalt öffentlichen Rechts gehört sie zu 100% zum Land Niedersachsen.
4 Das Ziel der „GRW-Förderung“ ist es, die regionale Wirtschaftsstruktur zu verbessern. Dies ist vorrangig Aufgabe der Bundesländer, aber der Bund unterstützt, wenn es zur Verbesserung der Lebensverhältnisse notwendig ist. Gefördert wird/werden die gewerbliche Wirtschaft bei Errichtung, Ausbau, Umstellung oder grundlegender Rationalisierung der Gewerbebetriebe; die wirtschaftsnahe Infrastruktur, soweit sie unmittelbar für die Entwicklung der regionalen Wirtschaft erforderlich ist; Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, zur regionalpolitischen Flankierung von Strukturproblemen und zur Unterstützung von regionalen Aktivitäten.
Dieser Text ist eine gekürzte Fassung eines Schreibens, dass wir an das niedersächsische Landwirtschafts-, Wirtschafts- und Umweltministerium sowie an den niedersächsischen Landvolkverband, den Bundesverband der Regionalbewegung, die agrarpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in Niedersachsen und an die Fachzeitung „Land- und Forst“ geschickt haben. Wer Interesse hat, die ausführliche Fassung zu lesen, findet sie<link file:349 download file> hier.